Gratisgeld – die Illusion ist geplatzt
Im vergangenen Jahrzehnt wurden international Unmengen von Geld gedruckt. Selbst kleine Probleme wurden mit einer immer noch grösseren Geldschwemme bekämpft. Die Notenbank finanzierte sogar Europas Staatsschulden – direkt und zum Nullzins. Die politischen Eliten gaben sich der Illusion von Gratisgeld oder einem neuen monetären Zeitalter hin.
Doch nun wird klar: Die Mär vom Gratisgeld hat ausgedient. Befeuert durch gestörte Lieferketten kehrt die Inflation zurück, die Verschuldung ist vielerorts exorbitant und Knappheit manifestiert sich auf Rohstoff- und Arbeitsmärkten. International ist das Zeitalter angebrochen, in dem es die in den letzten Jahren aufgebauten gesellschaftlichen und realen Kosten zu absorbieren gilt.
Der Preis dafür wird insbesondere in Form realer Geldentwertung oder sogenannter finanzieller Repression bezahlt. Für Europa heisst dies etwa, dass bei einer aktuellen Inflation von rund 8.1% und einem Zins der Europäischen Zentralbank von -0.5% der Realzins -8.6% beträgt. Anders gesagt: Mit 100 Euro können innert einem Jahr rund 8.6% weniger Güter gekauft werden. Zinsen werden jedoch unter fadenscheinigen Gründen nicht erhöht. Den Preis bezahlt also die Bevölkerung: Ihre Ersparnisse werden entwertet, zugunsten der Schuldenentwertung hoch verschuldeter Staaten. Geld hat eben langfristig doch seinen Preis – Europa muss dies aktuell schmerzlich erfahren.
Die Ausgangslage in der Schweiz ist zum Glück besser: Erstens haben wir eine verhältnismässig tiefe Verschuldung. Und zweitens verfügen wir über eine eigene Währung, womit wir importierte Inflation zumindest teilweise abfedern könnten. Trotzdem werden wir uns den internationalen Wirren nicht ganz entziehen können. Es gilt, sich an bewährte Schweizer Tugenden zu erinnern und die Folgen der jahrelangen Geldillusion rasch anzugehen, bevor der Preis, den wir für die heutige Politik bezahlen, unerträglich hoch wird.
Dr. Michael Steiner
Vorsitzender der Geschäftsleitung
acrevis Bank AG
michael.steiner@acrevis.ch